Die Nahtstellen der Bilder sichtbar machen von Sophie Berribi

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Sophie Berribi

Die Nahtstellen der Bilder sichtbar machen

 

Wenn Alexandra Leykauf erklären möchte, wie sie gefundene Fotografien manipuliert, vergleicht sie diesen Prozess mit dem Umstülpen eines Handschuhs. Dieser Vergleich, der die intime Geste des Abstreifens eines Lederhandschuhs und das Sichtbarwerden der Nähte an seiner Innenseite assoziieren lässt, scheint gerade auf einige ihrer jüngeren Arbeiten zuzutreffen.

Die Arbeiten Zelt, Bureau-cabinet, Muschelschränkchen und Teppichrolle, alle 2012 entstanden, bestehen aus Schwarz-Weiß-Fotografien, die im Siebdruckverfahren auf Aluminiumkonstruktionen aufgebracht wurden. Die Leichtigkeit und Farbarmut des Materials kompensieren seine Starrheit. Wenn es zu einem Schutzdach, einer freistehenden Konstruktion gefaltet wird oder an der Wand fixiert in den Raum hineinragt, nimmt das Aluminium eine filigrane, an Origami erinnernde Erscheinungsform an, die die Rückseite der Bilder sichtbar macht. Wie ein Handschuh, der von einer Hand abgestreift wird, schafft diese Enthüllung der Rückseite einen Bruch mit dem illusorischen Raum der Fotografie.

Ein Bild ist nahtlos, wenn es auf den Seiten eines Buches erscheint und so in eine feste narrative Struktur eingebunden ist, in der es eine bestimmte Bedeutung hat. Wenn es herausgeschnitten wird, verliert das Bild seinen sicheren Ort und seine festgelegte Bedeutung. Indem sie Bilder auswählt und sammelt, macht Leykauf sie heimatlos. Wenn sie diese Bilder jedoch in dreidimensionale Objekte umwandelt, gibt sie ihnen einen neuen Lebensraum, der durch die spezifischen Gegebenheiten der Galerie oder des Ausstellungsraums bestimmt ist. Ihr Zelt nährt sich aus diesem Widerspruch zwischen Heimatlosigkeit und Ort. Hierfür benutzte Leykauf eine Fotografie des opulenten Innenraums eines türkischen Zeltes, das bei der Belagerung Wiens 1683 erbeutet wurde und sich seither in der Wawel-Sammlung in Krakau befindet. Indem das Zelt in einem Innenraum ausgestellt wird, verliert es seine Funktion als Schutz gegen das Außen. Das von der Künstlerin benutzte Bild zeigt gleichzeitig das Innere des Zeltes, wodurch seine beschützende Funktion betont wird, und den es umgebenden Museumsraum. Sie spielt mit den visuellen Brüchen, der Gegenüberstellung der Zeltmuster mit dem glänzenden Parkett, wenn sie das Bild vergrößert und faltet: das Zelt wirkt als Schutzraum unangemessen, da sein Inneres durch die Illusion der Fotografie sehr viel größer wirkt als es tatsächlich ist. Durch die Betonung der Gegensätzlichkeit von Innen und Außen, von tatsächlichem und fotografiertem Raum, macht Leykauf die Nahtstellen ihres Bildes sichtbar, also die unterschiedlichen Elemente, durch die die Fotografie Informationen vermittelt: Einstellung, Belichtung, Gegenstand und Aufnahmewinkel werden hier um so augenfälliger, je mehr wir das zu einem Schutzraum gefaltete Bild hinterfragen, um es zu begreifen.

Diese Nahtstellen sind signifikant, auch wenn die Fotografie selbst banal erscheint. Leykauf unterstreicht ihre Vorliebe für unscheinbare Fotografien unbekannter Urheberschaft: „Hätte ich eine ikonische Fotografie ausgewählt, hätte das dazu führen können, dass man nicht über das bereits Bekannte hinausgedacht hätte - sie wäre als Klischee behandelt worden.“[1] Diese Darstellungen von Objekten und Gebäuden, die sie in Büchern findet, rangieren unter der aufschlussreichen Bezeichnung „Reproduktion“. Solche Fotografien sind sowohl die Essenz der Fotografie als auch ihre Negierung. Den der Fotografie zu ihrer Entstehungszeit ursprünglich zugeordneten Eigenschaften nahezu vollständig entsprechend, sind sie naturgetreue, zweidimensionale Abbildungen von Dingen. Gleichzeitig verweist der Ausdruck „Reproduktion“ auf den Ausschluss anderer fotografischer Qualitäten wie eben Belichtung, Einstellung und so weiter, die die Aufmerksamkeit des Betrachters vom Objekt weg auf das Bild lenken. Indem sie mit „Reproduktionen“ arbeitet, kann Leykauf das Medium als Rohmaterial behandeln, das wie Ton oder Farbe manipuliert werden kann.

Wenn sie das Bild eines Rokokoschrankes faltet, in dessen oberem Bereich die perspektivische Ansicht einer von Gebäuden umstandenen Piazza mit Obelisk intarsiert ist, schafft die Künstlerin tatsächliche Räumlichkeit aus der auf dem Möbelstück nur vorgetäuschten. Gleichzeitig macht sie die Illusion greifbarer, sie unterstreicht auch, dass es sich nur um ein dekoratives Muster auf dem Schrank handelt, das wiederum zu einer freistehenden Fotografie verflacht wurde. Dennoch gehorcht sogar eine solche Fotografie, eine reine „Reproduktion“, bestimmten fotografischen Konventionen. Um als gültiges, reproduzierbares Dokument gelten zu können, musste das Bild klar als Fotografie eines Rokokoschrankes erkennbar sein und durfte zum Beispiel keine durch eine unsachgemäße Auswahl von Kamerawinkel und Linse hervorgerufenen störenden Schatten oder Verzerrungen aufweisen.

Mittels dieser Eigenschaften fand die Fotografie Aufnahme in ein Buch mit anderen Reproduktionen von Möbelstücken, die bestimmte Stile und Handwerkstechniken veranschaulichen. Das Buch selbst ist, wie das Muschelschränkchen, ein Instrument, um kulturelle Artefakte zu klassifizieren und einzuordnen und so kleine Bestandsaufnahmen der Welt, in der wir leben, zu schaffen. Leykaufs Bureau-cabinet veranschaulicht dies, indem sie zwei Konventionen der Darstellung der Welt, die den menschlichen Körper in den Mittelpunkt stellen, einander überlagern lässt: die geometrische Perspektive und die Fotografie.

Beide Systeme zielen darauf ab, die Welt aus einer bestimmten Position darzustellen. Indem sie Fotografien zerschneidet, faltet und klebt - oder sie in ihre Teppichrolle einrollt - verschiebt Leykauf diesen zentralen Blickwinkel. Durch ihre Arbeiten wird die Position des Betrachters destabilisiert und permanent verunsichert. Wir müssen uns auf die Nahtstellen ihrer Bilder konzentrieren und versuchen, ihnen zu folgen, um ihre Bilder zu begreifen und in ihnen heimisch zu werden.



[1] Öffentliche Diskussion zwischen Alexandra Leykauf und Sophie Berribi, Musée d’art moderne de la Ville de Paris, Paris, 6. Mai 2010